Sachsen-Anhalts Vorreiterrolle bei der Suche nach wirtschaftlichen Lösungen der Stromspeicherung

Der 20. August ist Welterschöpfungstag 2013. Dies geht aus einer Veröffentlichung der Umweltorganisation WWF hervor. Rein rechnerisch verbraucht die Weltbevölkerung ab dem heutigen Tag mehr regenerative natürliche Ressourcen, als Mutter Natur innerhalb eines Jahres wiederherstellen kann. Bis Jahresende bedienen wir uns nun an den stillen Reserven unseres Planeten. Um der Bedrohung zu begegnen, fordert der WWF unter anderem den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 global auf mindestens 40 Prozent zu steigern. Dies ist in Sachsen-Anhalt längst geschehen. 

Noch ist offen, welche Technologie sich durchsetzen wird. In Sachsen-Anhalt werden Technologien und Systeme entwickelt, die andere Länder künftig bei der Netzintegration Erneuerbarer Energien anwenden könnten. Das Bundesland könne auf Grund seiner geografischen Lage, seiner Fachleute, seiner nationalen und internationalen Vernetzung sowie seiner frühen Hinwendung zu diesem Thema eine Vorreiterrolle spielen. Davon ist Dr. Martin Stötzer, Geschäftsführer des Zentrums für Regenerative Energien Sachsen-Anhalt e. V. (ZERE), überzeugt.

Die Ansicht, dass die Energiespeicherung die technologische Königsdisziplin zum Gelingen der Energiewende sei, mag Stötzer nicht teilen. Er sieht vielmehr in einem Gesamtkonzept vier Herausforderungen, die erfüllt werden müssen. Das sind der Netzausbau, die flexible Erzeugung sowie der flexible Verbrauch von Energie und schließlich die wirtschaftliche Speicherung von Strom aus Wind, Sonne, Biomasse oder Wasserkraft. „Das ist notwendig, damit Strom produziert wird, wenn er gebraucht wird“, erklärt der 31-jährige promovierte Energietechniker. Dafür seien Speichersysteme mit den gesteckten Ausbauzielen der Erneuerbaren Energien langfristig notwendig. Dieser Gesamtzusammenhang ist für ihn unumstößlich. Noch völlig offen hingegen ist, welche Technologien sich durchsetzen werden. „Wir brauchen im Land eine Bedarfsanalyse und ein Konzept. Es muss die Frage beantworten, welche und wie viele Speicher wir benötigen“, fordert Stötzer. So sei heute zum Beispiel ebenso noch offen, ob die künftigen Speicher nah am Erzeuger oder nah am Verbraucher angesiedelt sein sollen.

 

Weil Sachsen-Anhalt flach ist und viel Wind  weht, drängt sich das Thema Erneuerbare Energien geradezu auf. Auch die Infrastruktur bietet gute Voraussetzungen. In Sachsen-Anhalt befinden sich Knotenpunkte mehrerer Infrastrukturen, wie Strom und Gas. Zirka 42 Prozent des im Land verbrauchten Stroms kommen heute schon aus regenerativen Quellen. Es gibt deshalb für das Thema viel Verständnis und erhebliches Know-How. So ist bereits von 2008 bis 2012 in der  Modellregion Harz im Rahmen des „E-Energy-Programms“ der Bundesregierung das einzige ostdeutsche Projekt des150-Millionen-Euro-Programmes gelaufen. Das Projekt „Harz.EE.mobility“ untersuchte, wie Erneuerbare Energien für das Laden von Elektrofahrzeugen genutzt werden können.

 

Vor diesem Hintergrund seien auf dem Gebiet der Speichersysteme neue Projekte entstanden oder befinden sich in  Vorbereitung, erklärt der gebürtige Magdeburger, der an der Otto-von-Guericke-Universität studiert und promoviert hat.

 

In diesem Jahr läuft das Projekt ADELE-ING an.  „ADELE-ING“ steht für die „Ingenieurtechnische Planung“ zur Errichtung einer ersten Demonstrationsanlage der ADELE-Technologie, dem „Adiabater Druckluftspeicher für die Elektrizitätsversorgung". „Der Förderbescheid ist erteilt“, so Stötzer. Sollten die wirtschaftlichen Ziele erreicht werden, könnte im Anschluss ab 2016 eine Demonstrationsanlage im Raum Staßfurt (Salzlandkreis) errichtet werden. Der Energieversorger RWE plant dort das in der Welt einmalige Verfahren zu verwirklichen. Errichtet werden soll in einem unterirdischen Salzstock eine sogenannte Druckluftspeicherkaverne.

 

Der Druckluftspeicher komprimiert zu Zeiten eines hohen Stromangebots Luft. Die dabei entstehende Wärme wird zwischengespeichert und die Luft in unterirdische Kavernen gepresst. Bei steigendem Strombedarf kann diese Druckluft unter gleichzeitiger Rückgewinnung der Wärme zur Stromerzeugung in einer Turbine genutzt werden. Bei diesem Verfahren geht die Wärme der verdichteten Luft nicht verloren, sondern verbleibt im Prozess. Sie kann so zur Stromerzeugung genutzt werden und unterscheidet sich von bestehenden Druckluftspeichern vor allem durch deutlich höhere Wirkungsgrade von bis zu 70 Prozent.

 

Die in Sachsen-Anhalt und Mitteldeutschland durch den Kali-Abbau entstandenen Kavernen will auch das Hypos-Projekt nutzen. Die Bezeichnung „Hypos“ ergibt sich aus Buchstaben des vollständigen englischen Projekt-Titels - „Hydrogen Power Storage & Solutions East Germany“.

 

Bei Hypos soll erneuerbarer Strom in das Energiesystem durch innovative Verknüpfung der Technologie der Wasserstofferzeugung mit der vorhandenen Infrastruktur von Gaspipelines und Gasspeichern integriert werden. Genutzt werden soll der „grüne“ Wasserstoff für die Stoffwandlung der Chemie, für den Bedarf der Elektromobilität und als Energiequelle.  Hypos werde eine Revolution in der Wasserstoffwirtschaft auslösen, sind sich die Initiatoren sicher.

 

„Die Erzeugung, Speicherung, Umwandlung und Nutzung von regenerativ erzeugtem Wasserstoff ist für die mitteldeutsche Chemieindustrie ein möglicher Weg aus der bestehenden einseitigen Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen. Mit der Entwicklung einer „grünen“ Chemie könnte vom Standort Mitteldeutschland nach dem Chemieparkkonzept der 1990er Jahre eine zweite Revolution für die Branche ausgehen“, so Dr. Christoph Mühlhaus, Sprecher des Clusters Chemie/Kunststoffe Mitteldeutschland.

 

„Ostdeutschland verfügt über ausgezeichnete Voraussetzungen, um das angestrebte Ziel des HYPOS-Projektes zu verwirklichen. Dazu gehören eine sehr gute Infrastruktur in Form der zweitgrößten deutschen Wasserstoff-Pipeline sowie Transportnetze und Untergrundspeicher für Erdgas, große Erfahrungen der Unternehmen im großtechnischen Umgang mit Wasserstoff sowie erhebliche Forschungskompetenzen in den Bereichen Wasserelektrolyse und Methanisierung“, bekräftigt Jörn-Heinrich Tobaben, Geschäftsführer der Wirtschaftsinitiative für

 

Mitteldeutschland. Darüber hinaus bestünde bei den Prozessen der mitteldeutschen Chemieunternehmen ein ausgeprägter Bedarf nach Wasserstoff. „Das aktuelle Interesse großer Automobilproduzenten nach „grünem“ Wasserstoff für Brennstoffzellenfahrzeuge wird zu einem weiteren Innovationsschub in Richtung Marktfähigkeit führen“, zeigt sich Jörn-Heinrich Tobaben überzeugt.

 

Das gemeinsam von dem Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM, der Wirtschaftsinitiative für Mitteldeutschland und dem Cluster Chemie/Kunststoffe Mitteldeutschland initiierte HYPOS-Projekt verfolgt das Ziel, bis 2020 wirtschaftliche Lösungen für die Nutzung von Wind- und Solarstrom zur Erzeugung von Wasserstoff via Elektrolyse in großtechnischem Maßstab zu erarbeiten. Der so produzierte „grüne“ Wasserstoff soll als Ausgangsstoff für die Chemieindustrie, als Grundlage für eine flächendeckende Elektromobilität sowie als Energiequelle für die Strom- und Wärmeversorgung dienen. An dem Initialkonsortium sind zur Zeit rund 90 Unternehmen der Energiewirtschaft, der Chemie und des Anlagenbaus sowie Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus Ost- und Westdeutschland beteiligt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung wird das  Hypos-Konsortium im Rahmen des Programms „Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation“ bis 2020 finanziell fördern. Diese Entscheidung gab Bundesforschungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka Mitte Juli  in Berlin bekannt. Die Vision von „grünem“ Wasserstoff als Energieträger der Zukunft kann nun Gestalt annehmen. „Die Entscheidung zeigt die enormen Innovationspotenziale sowie ökologischen und ökonomischen Effekte, die sich mit dem geplanten Aufbau einer selbsttragenden Wasserstoffwirtschaft in Deutschland verbinden“, erklärt Prof. Dr. Ralf B. Wehrspohn, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM Halle und Sprecher des HYPOS-Projektes.

 

Wissenschaftler der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg arbeiten derweil in dem interdisziplinären Forschungsprojekt „Super-Kon“ an der Entwicklung von Super-Kondensatoren, die in kürzester Zeit hohe Leistungen aufnehmen und diese schnell wieder abgeben können. Während herkömmliche Akkumulatoren elektrische Energie erst in chemische Energie umwandeln müssen, um sie zu speichern, wird die elektrische Energie in Super-Kondensatoren mit Hilfe neuartiger Kompositwerkstoffe rein elektrostatisch gespeichert. Das Ergebnis dieser chemischen Synthese ist ein Material mit einer weitaus höheren Speicherkapazität, das mögliche kurze Netzschwankungen ausgleichen kann. Außerdem lassen sich die giftfreien Komposite umweltverträglicher herstellen als herkömmliche Kondensatoren. Der langlebige Energiespeicher ist imstande, Strom sekundenschnell zu speichern und auch über lange Zeiträume ohne Verluste verfügbar zu halten.

 

Wissenschaftler der Magdeburger Universität sind an dem Projekt „Espen“ des Energieforschungszentrums Niedersachsen beteiligt. Es untersucht „Potenziale elektrochemischer Speicher in deutschen Netzen in Konkurrenz zu anderen technologischen Systemlösungen“. In diesem Zusammenhang soll ein Großbatteriespeicher (ca. 500 kW) zur praktischen Evaluierung der theoretischen Untersuchungen für unterschiedliche Anwendungsfälle angeschafft werden.

 

Wenn Sachsen-Anhalt auch über alle Chancen verfügt, eine Vorreiterrolle einzunehmen, so ist Stötzer davon überzeugt, dass Lösungen nur im nationalen und internationalen Maßstab gefunden werden können. Deshalb arbeitet die Otto-von-Guericke-Universität als Mitglied im ZERE e.V. auch eng mit Wissenschaftlern in Brasilien, Portugal und Frankreich zum Thema Energieeffizienz durch Lastverschiebung und nichttechnische Verluste zusammen.

 

ZERE wurde 2006 gegründet. Als übergreifende Initiative zum fachlichen Austausch sowie zur Bündelung und Koordinierung von Aktivitäten der in den verschiedenen Fachdisziplinen tätigen Wirtschaftsunternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen soll der Verein dazu beitragen, die führende Stellung des Landes im Bereich der regenerativen Energien zu festigen und auszubauen.