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Frau Dr. med. Hüfner, wie ist die aktuellen Situation der kinderärztlichen Versorgung in Bernburg?

Kinder haben keine Lobby, das wissen wir ja. Das steht ja jeden Tag in einer Zeitung, dass eben das Geld nicht für unsere Kinder, die uns tragen, unsere Zukunft sind, ausgegeben wird, sondern das Geld für andere Dinge ausgegeben wird, damit haben wir keine guten Karten.



Nachdem eine Leserin sich Ihren Ärger über zu wenig Kinderärzte in Bernburg Luft gemacht hat, haben wir mit Bernburg's Kinderärztin Heike Hüfner gesprochen, Oberbürgermeisterin Silvia Ristow gefragt, welche Anstrengungen übernommen werden, die Kinderärztliche Versorgung sicher zu stellen und nach Staßfurt geblickt, was die Stadt getan hat, um Kinderärzte zu verpflichten..., ein überraschendes Ergebnis!

 

Frau Dr. med. Hüfner, wie ist die aktuellen Situation der kinderärztlichen Versorgung in Bernburg?

 

Die Situation ist folgende: Ich bin seit Mai 2021 als Kinderärztin für die Versorgung der Patienten in Bernburg zuständig. An langen Tagen werden 100 bis 200 Patienten behandelt. Dazu kommt, das Kollegin Haase sich in den Ruhestand verabschiedet hat, sodass nur noch eine Kinderärztin die Kinder in Staßfurt versorgt. In Bernburg bedeutet das, 4.500 Kinder zu versorgen. Hinzu kommt der Zulauf von Patienten mit Migrationshintergrund, die keinen Kinderarzt haben und vielleicht auch noch keine Krankenversicherung. In vielen Fällen wird ein Notarzt gerufen, dieser schreibt ein Notarztprotokoll und verweist die Kinder an mich.

 

Wenn meine Praxis offen ist, werden alle Kinder behandelt, doch mit den Notfällen ist das einfach nicht mehr zu schaffen. Deshalb habe sich die Daseinszeit mit Absicht verkürzt. Wenn ich 17 Uhr noch in meiner schicken neuen Praxis bin, fühle ich mich verpflichtet, auch die Kinder, die mit diesem Schein kommen, zu behandeln, doch das schaffe ich einfach nicht mehr.

 

Die Versorgung mit Kinderärzten ist schlecht geworden und wird nicht besser. Ich bin vor ein paar Wochen 61 Jahre geworden, ich weiß nicht, ob ich es schaffe, noch bis 66 zu arbeiten. Also habe ich maximal noch fünf Jahre Zeit für die Versorgung der Kinder, aber dann breche ich weg.

 

Die Kollegen um mich herum sind natürlich auch in meinem Alter, in ein paar Jahren gibt es keine kinderärztliche Versorgung mehr. Vor ein paar Wochen sind dann noch Kinderärzte in der Region krank geworden, d.h., das die Kinder, die jetzt notfallmäßig versorgt werden mussten, sind auch bei uns aufgelaufen, was natürlich ziemlich anstrengend ist, wenn man die Kinder nicht kennt und der Aufwand doch etwas höher ist, um eine ordentliche Versorgung zu gewährleisten.

 

Ich bin glücklich, dass es die Kinderklinik in Aschersleben noch gibt. Mit denen arbeite ich sehr eng zusammen. Die helfen mir auch immer, auch wenn sie die Klinik abgemeldet haben, wie das jetzt vorgestern der Fall war, haben sie mir geholfen mit einem Bett, damit ich die paar wenigen Patienten, die ich einweisen muss, bekomme. Und die machen auch alles für mich und ich wünsche mir, dass das so bleibt.

 

Was ist denn eigentlich aktuell das Problem?

 

Die Kassenärztliche Vereinigung und die Bundesvereinigung der Kassenärzte haben ja so einen Schlüssel ausgewiesen, wie viele Kinderärzte pro Einwohner und Kinder zugelassen sind. Und der Landkreis im nördlichen Teil ist ziemlich gut aufgestellt.

 

Zwei Stellen wurde vom MVZ in Dessau ausgeschrieben. Die Bernburger Kinderärzte, die nicht nach besetzt werden konnten, sind nach Egeln und Wolmirstedt gegangen. Durch den Speckgürtel Magdeburg und Schönebeck stehen also niedergelassene Kinderärzte, die in der Statistik zählen, uns aber nichts nützen, also in unserem Kreis, wie Aschersleben, Staßfurt und Bernburg.

 

Wie müsste die Versorgung in Bernburg aufgestellt sein?

 

Ich habe 2007 mit drei Kinderärzten in Bernburg angefangen, damals war eine einhundertprozentige Versorgung gewährleistet. Damals habe ich die Praxis vom Dr. Unna übernommen, da gab es auch noch eine Kinderklinik in Bernburg. Die Kinderklinik ist 2008 weggebrochen, die für die ambulante Versorgung ziemlich gute Arbeit geleistet hat. Und nun bin ich als alleinige Kinderklinik, TÜV Nord, Tagesklinik Hüfner und Versorgungsklinik Hüfner übrig geblieben.

 

Natürlich ist die Geburtenzahl rückläufig, es müsste eine Veränderung im Gesetz sein, sodass Absolventen nach Beendigung ihres Studiums über eine Lenkungskommission dann für zehn Jahre an einen Ort in ihrem gewünschten Gebiet, in ihrer Fachrichtung vermittelt werden, in ihrer Fachrichtung.

 

Ich wollte damals gern in Bernburg arbeiten und dieses Fach haben und hatte durch die Lenkung Glück, dass ich es haben durfte. Der Wunsch der jungen Leute ist heute nach Beendigung des Studiums, in den großen Zentrum zu arbeiten. Da sind wir in Bernburg zu klein, obwohl wir eine tolle Stadt sind, finde ich.

 

Sind wir als Stadt nicht attraktiv genug?

 

Durch die Autobahn an alle Großstädte sind wir eben nicht attraktiv genug. Für mich geht es nur mit einer Lenkung, also mit einer Gesetzesänderung. Wir zählen ja schon als ländliche Regionen. Ich habe mit einem Kollegen in Berlin gesprochen und gesagt, wenn sie jemanden kennen, der nach Bernburg kommt, alles geschenkt bekommt, nur von Dienstag bis Donnerstag arbeiten bräuchte, um selbst eine Entlastung zu haben, dann schicken Sie mir ihn. Antwort: Das können Sie vergessen, selbst in einem Ballonzentrum wie Berlin muss man dafür werben, junge Leute zu binden. Auch in Berlin werden 30 % der Praxen im Randbereich nicht mehr nach besetzt. Er sagt Zitat: Wenn sie keinen kennen, der den Stallgeruch von Sachsen Anhalt an sich hat, werden sie keinen Nachfolger finden!

 

In Staßfurt gibt es ein Modell, das ein Arzt, der in der Stadt praktiziert, für ein paar Jahre ein Stipendium monatlich erhält, um den Standort attraktiver zu machen, macht das Sinn?

 

Damals haben sich Absolventen verpflichtet, zehn Jahre in einem Krankenhaus Bernburg zu arbeiten. Es ist natürlich toll, wenn man jemanden hat, der sagt, er möchte gerne hier Kinderarzt sein, dass man vorab schon mit einem Stipendium an den Ort Bernburg näher anbindet.

 

Mit der Anbindung großer Unternehmen in Bernburg wird auch der Bedarf an kinderärztlicher Versorgung steigen, doch das kommt einfach in der Politik nicht an. Kinder haben keine Lobby, das wissen wir ja. Das steht ja jeden Tag in einer Zeitung, dass eben das Geld nicht für unsere Kinder, die uns tragen, unsere Zukunft sind, ausgegeben wird, sondern das Geld wird für andere Dinge ausgegeben und damit haben wir keine guten Karten.

 

Die Landespolitik spricht über die Sicherstellung von Kinderärzten im ländlichen Raum, was kann man sich davon erhoffen?

 

Ich habe keine Hoffnung mehr. Ich habe 2021 mit dem KV Chef über Herrn Ruland bekommen. Aber das es noch schlimmer kommen würde, habe ich nicht gedacht. Ich habe auch Kontakt aufgenommen mit den großen Kliniken. Kein Kinderarzt will bei uns in Bernburg arbeiten, es geht nur, dass Sachsen-Anhalt dies verordnet würde.

 

Das ist das einzige, was geht, aber das ist ja ein Traum. Die gesetzliche Grundlage gibt dies aber nicht her.

 

So sieht es aber nicht nur in der Kinder- und Jugendmedizin aus, sondern auch im hausärztlichen Bereich wie Augenarzt oder Hautarzt.

 

Ein Beispiel, 1990 waren im Krankenhaus Bernburg noch 145 Betten, die wurden auf 55 reduziert, 2008 dann komplett gestrichen. Auch in Zeitz wird diskutiert, ob die Kinderklinik geschlossen werden soll. Das wird sicher auch werden. Eine Stadt mit 22.000 Einwohnern, weil quasi dort die Versorgung regional mit Erfurt Gera ja angeblich zumutbar ist. Ich finde das ziemlich schlimm.

 

War die medizinische Versorgung zu DDR Zeiten besser?

 

Ja, das war besser. Es konnten nicht alle jedes Traumfach in Halle, Magdeburg oder Berlin machen. Es war so verteilt, dass die Kreisstädte, oder heute als ländliche Region zählend, auch drei Augenärzte und zwei Hautärzte hatten, die dann hier arbeiten mussten und sich ein Haus kaufen mussten und nicht in Halle, Magdeburg oder dort wo sie wollten, weil es da keine Stelle gab, das war besser.

 

 

Wir wollten von Bernburg's Oberbürgermeisterin, Dr. Silvia Ristow wissen, ob das Problem bekannt ist und welche Anstrengungen die Stadt unternimmt, die kinderärztliche Versorgung in der Kreisstadt auf lange Sicht zu gewährleisten.

 

Die Stadt Staßfurt hat eine finanzielle Unterstützung, ein Hausärzte Stipendium entwickelt, ein Weiterbildungsassistent, also Ärzte, die in der Weiterbildung über ein sogenanntes Hausärzte Stipendium beispielsweise für fünf Jahre monatlich 500 Euro von der Stadt erhalten, damit sich ein Arzt in Staßfurt ansiedelt. Mittlerweile mit Erfolg!

 

Wenn man sieht, das ein Kinderarzt für rund 4.500 Kinder da seinmuss, dann ist das schon ziemlich krass. Gibt es nicht irgendeine Möglichkeit, zusammen mit der Stadt ein Konzept zu entwickeln, um Ärzte nach Bernburg zu holen?

 

Frau Silvia Ristow, wie sehen Sie die kinderärztliche Versorgung in Bernburg?

 

Mal gucken, was man da machen kann. Eine akute Lösung, jetzt für Frau Dr. Hüfner haben wir eben dummerweise alle nicht. Wir würden einen roten Teppich ausrollen, gar keine Frage. Die Kassenärztliche Vereinigung ist derjenige, der eigentlich zuständig ist. Also wir hängen, wir sind oder sitzen ja im selben Boot wie die Eltern. Das ist ein richtig großes Problem.

 

Dieses Stipendienprogramm ist eine Perspektive, in fünf bis sieben Jahren, je nachdem, wie man dann auch ein Stipendiaten findet. Die Landesförderung ist das eine, wo ich mein großes Problem tatsächlich mit habe, das ist eher ein inhaltliches Problem. Man sucht sich jemanden aus, von dem man nicht weiß, ob er das Studium beendet, das kann man nur hoffen. Und die Bindung, die ich bis jetzt gehört habe, waren alle auf fünf Jahre beschränkt. Also unter Umständen macht man diese Investitionen und hat tatsächlich was in fünf Jahren.

 

Vielleicht hat man es dann eben bis zur Rente, vielleicht auch nicht. Das nächste Anliegen muss unbedingt sein, dass die Studienplätze so auch zur Verfügung stehen, wie man den Nachwuchs braucht. Eine Studienlenkung, was zu DDR Zeiten noch gegeben hat, wo man sagt, da sind Mangelberufe, da brauche ich was.

 

Vielleicht muss man auch gucken, ob der Numerus clausus richtig ist. Ich will einfach nur sagen, es ist bestimmt ein Weg. Zu zeigen, dass man etwas tut, etwas anderes tut als nur reden. Aber ob es die Lösung ist, das bezweifle ich mal..

 

Wir haben ja erst mal zwei Kinderärzte, Frau Dr. Heike Hüfner in Bernburg und Frau Dr. Fuchs in Könnern. Wo eine Ärztin sich ansiedelt, ist ihr überlassen, wenn sie nicht nach Bernburg will, dann ist das eben so. Wir sehen es auch bei einer anderen Ansiedlung, gerade also bei einer Praxisübernahme. Da sind auch noch so ein paar Formalitäten zu regeln. Auch das ist nicht so ganz leicht.

 

Wir haben den einen oder anderen Glücksfall, das es ein Praxisübergang gibt. Aber wenn jemand sagt, nein, ich gehe lieber in ein Krankenhaus, da bin ich nicht rund um die Uhr, da wäre ich vielleicht auch anders bezahlt.

 

Mit der AVNET Ansiedlung ist es ja auch wichtig, langfristig irgendwelche Perspektiven bezüglich Gesundheitsvorsorge oder Versorgung zu haben, muss die Stadt da nicht mehr tun?

 

So blöd, wie sich das anhört. Es gibt Zuständigkeiten. Natürlich kann man jede Aktion oder jeden, in irgendeiner Form unterstützen. Ob das zielführend ist oder ob wir nicht nur den nächsten Wettbewerb eben der Städte untereinander ausmachen, lasse ich mal dahingestellt sein. Aber hier gibt es tatsächlich die Zuständigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung, die für die Versorgung im Land zuständig ist.

 

Es ist einfach nur so, dass es gegenwärtig zumindest für den Salzlandkreis zu wenig Kinderärzte gibt und keiner da steht und sagt, ich suche jetzt einen Ansiedlungsort.

 

Leserbrief zum Kinderärztemangel

 

Nachdem ich nach der Schließlich der Kinderarztpraxis von Frau Dr. Klotz in Bernburg nach unzähligen Anfragen bei umliegenden Kinderärzten um Aufnahme bat, fand ich endlich in Staßfurt eine Praxis. Nun rief ich gestern zufällig in der Praxis an, da das Gerücht herumging, dass Frau Dr. Hasse nun auch in Rente gehen soll.

 

Die Schwester bestätigte dies und bat mich darum dann heute am 30.12. die Unterlagen meiner Tochter abzuholen. Wieder stehe ich ohne Kinderarzt da. Nach unzähligen Telefonaten und Anfragen via Emailverkehr erhielt ich bisher nur Absagen - "keine Neuaufnahmen mehr, maximal noch Neugeborene", "sie sind aber nicht im Einzugsgebiet" "wenn ihr Kind 12 ist gern, da wir keine kinderärztliche Leistungen erbringen können" waren die Rückmeldungen. Mein Suchradius umfasst ein Gebiet von Köthen, Könnern, Aken, Staßfurt, Bernburg, Peißen, Güsten, Baalberge, Calbe, Schönebeck bis Magdeburg.

 

Wie kann es sein, dass man die Jüngsten in der Gesellschaft vergisst? Nicht nur die Alten werden in der Gesellschaft "mit Füßen getreten" und in Seniorenheimen "vergessen", nein, auch die Jüngsten werden in diesem Land immer mehr vergessen.

 

Wo sind die ganzen Ärzte hin, die über Jahre ausgebildet wurden? Warum gibt es keine flächendeckende Versorgung? Wie kann eine Stadt wie Bernburg nur einen Kinderarzt vorweisen?

 

Auch auf die Unterstützung der Krankenversicherung und der so beworbenen Nummer der kassenärztlichen Vereinigung kann man an der Stelle nur hoffen, weiterhelfen konnte mir keiner!

 

Alle Hoffnung liegt nun in meiner verzweifelten Nachricht an das Bundesministerium des Landes Sachsen-Anhalt.

 

Ich kann nur hoffen, dass meine Tochter bis zur Aufnahme bei einer Praxis gesund bleibt und anstehende Termine beim SPZ muss ich dann wohl oder übel umdisponieren.

 

Leider geht es vielen Eltern so, nicht nur hier, sondern in allen Bundesländern. Daran erkennt man wie bedeutsam dem System die Kinder von heute sind!!!

 

Herzliche Grüße, eine verzweifelte und über das System erschütterte Mutter.