Zehn Jahre nach der Jahrhundertflut

Mit Blick auf die Erkenntnisse aus der Jahrhundertflut von 2002 hält Landwirtschafts- und Umweltminister Dr. Hermann Onko Aeikens es für wichtig, dass das Thema Hochwasser dauerhaft stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung rückt. „Längere Zeiträume ohne größere Hochwasser führen dazu, dass das Bewusstsein, im Überflutungsgebiet zu leben, abnimmt. Dadurch steigt die Gefahr von Schäden. Jeder, der von Hochwasser betroffen sein kann, ist verpflichtet, geeignete Vorsorge zu treffen“, sagte der Minister am Freitag auf einer Pressefahrt am Aland.

Er fügte hinzu: „Hochwasserschutzschutz ist nicht alleinige Aufgabe des Landes. Hier sind insbesondere auch die Landkreise und kreisfreien Städte als zuständige Gefahrenabwehr- bzw. Katastrophenschutzbehörden sowie die Gemeinden, aber auch jeder einzelne betroffene Bürger verpflichtet. Soweit möglich werden die Kommunen bei dieser Aufgabe vom Land unterstützt.“

 

Die seit 2007 geltende Europäische Hochwasserrisikomanagementrichtlinie stellt dabei qualitativ anspruchsvolle und auch neue Anforderungen an den Hochwasserschutz für das nächste Jahrzehnt. Aeikens: „Das bisherige Sicherheitsdenken muss sich stärker zu einem Risikodenken entwickeln.“

Dieser Paradigmenwechsel bewirke, dass an Stelle des bisherigen fast selbstverständlichen Schutzanspruchs zunehmend das Management von Hochwasserrisiken trete, um hochwasserbedingte nachteilige Folgen auf Mensch und Umwelt zu verringern.

 

Der Minister ergänzte: „Information und Dokumentation werden einen größeren Stellenwert erhalten. Die gemäß Richtlinie zu erarbeitenden Karten und Pläne sind der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, so dass nicht nur das Land und die Kommunen, sondern auch jeder Einzelne seinen Beitrag zur Hochwasservorsorge besser leisten kann.“

 

Laut Richtlinie sind bis 2013 Risikogebiete in Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten darzustellen. In diesen Karten werden die Szenarien verschiedener Hochwasser betrachtet. Zudem sind bis 2015 Hochwasserrisikomanagementpläne aufzustellen. Das Ergebnis der ersten Stufe der Umsetzung der Richtlinie zeigt, dass es in Sachsen-Anhalt auf einer Gesamtlänge von 1.865 Kilometern 67 Gewässer mit potenziell signifikantem Hochwasserrisiko gibt. Davon entfallen 1.794 Kilometer auf Gewässer im Einzugsgebiet der Elbe und 71 Kilometer auf Gewässer im Einzugsgebiet der Weser.

 

Zur Bilanz im Einzelnen

 

Schäden in Folge des Hochwassers 2002:

 

In Sachsen-Anhalt entstanden Schäden an Verkehrseinrichtungen, öffentlichen Gebäuden, gewerblichen Unternehmen, in der Landwirtschaft und an wasserwirtschaftlichen Anlagen. Die Schadenssumme belief sich im Land auf rund zwei Milliarden Euro. Allein an den Landeshochwasserschutzanlagen lag die Schadenssumme bei mehr als 200 Millionen Euro.

 

In Folge des Hochwassers 2002 wurden in Sachsen-Anhalt 310 Deichschäden registriert. Davon waren 17 Deichbrüche, 53 Deichschlitzungen sowie Böschungs- und Bermenrutschungen.

 

Die Schadensschwerpunkte lagen überwiegend im Bereich der Hauptdeiche der Elbe und Mulde, aber auch Rückstaubereiche u. a. an der Schwarzen Elster, Leine und Ohre waren betroffen. Weitere Schäden größeren Ausmaßes entstanden durch Böschungs- und Bermenrutschungen unter anderem im Bereich Wörlitz, bei Fischbeck, im Raum Buch und oberhalb Werben.

 

Durch die Deichbrüche in Sachsen-Anhalt an Elbe, Mulde und Schwarzer Elster und den Deichbruch bei Dautzschen (Freistaat Sachsen), welcher erhebliche Flächen im Landkreis Wittenberg überflutete sowie hochwasserbedingte Sickerstellen und aufsteigendes Grundwasser, wurden rund 57.000 Hektar überschwemmt.

 

Allein im Bereich der Elbe und ihrer Nebenflüsse sowie im Großen Bruch und im Drömling entstanden 2002 Hochwasserschäden an landwirtschaftlichen Kulturen und landwirtschaftlichen Wirtschaftsgütern durch Deichbrüche, Vordeichüberschwemmungen, Rückstau und Qualmwasser in Höhe von etwa 79,2 Millionen Euro.

 

Was nach dem Hochwasser 2002 erreicht wurde:

 

Seit 2002 ist in Sachsen-Anhalt rund die Hälfte der 1.312 Kilometer Deiche saniert. Vor zehn Jahren entsprachen lediglich fünf Prozent der Deiche den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Aeikens sagte: „In den Jahren nach dem schweren Hochwasser haben wir im Land sichtbare Erfolge bei der Verbesserung des Hochwasserschutzes erzielt. Diese werden auch von der Bevölkerung positiv anerkannt. Dank der auch durch die EU und den Bund zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel konnten an den zahlreichen betroffenen Stellen in Sachsen-Anhalt die Schäden beseitigt und das Hochwasserschutzniveau erheblich verbessert werden.“ Seit 2002 wurden knapp 460 Millionen Euro für die Beseitigung der Hochwasserschäden und in die Verbesserung des technischen Hochwasserschutzes investiert.

 

Der Minister erklärte, dass das Hochwasser 2002 zum Umdenken im Hochwasserschutz führte. Die Landesregierung beschloss im März 2003 ein Schutzkonzept für das ganze Land. Sieben Monate nach dem Hochwasser an der Elbe und ihrer Nebenflüsse trat die erste von zwei Hochwasserschutzkonzeptionen in Kraft. Auf ihrer Grundlage wurde bis 2010 vor allem an einem nachhaltigen, vorbeugenden Hochwasserschutz gearbeitet.

 

Das erste Konzept war ein Maßnahmebündel, in dessen Mitte vor allem die Beseitigung der Schäden stand. Erst danach erweiterten Deichsanierungen, Deichneubauten sowie Deichrückverlegungen die Maßnahmen der Schadensbeseitigung. Auch die Planung von Flutungspoldern und Hochwasserrückhaltebecken gewann an Bedeutung. Auf die erste Hochwasserschutzkonzeption folgte im Jahr 2010 die zweite. Bis 2020 dient das Folgekonzept als Arbeitsgrundlage. Darin ist die Hochwasservorsorge ein fester Bestandteil.

 

Die Prioritäten der Deichbaumaßnahmen konzentrierten sich auf Abschnitte, die während des Hochwassers im August 2002 stark beschädigt worden waren. Hier sind vor allem die Landkreise Anhalt-Bitterfeld, Wittenberg, sowie die Stadt Dessau-Roßlau zu nennen.

 

Schwerpunkte der Maßnahmen waren vor allem die Sanierung der Deiche im Raum Dessau-Rosslau, der Stadtdeiche in Raguhn und Jessnitz, die Sanierung des Pretziener Wehrs und der Beginn der Deichrückverlegungsmaßnahme im Lödderitzer Forst.

 

In Ergänzung zum klassischen Deichbau kamen innerorts auch mobile Hochwasserschutzwände an solchen Stellen zum Einsatz, wo aus denkmalpflegerischer Sicht oder zum Erhalt von Sichtbeziehungen für die Bürger kein dauerhafter Hochwasserschutz errichtet werden konnte. Dazu wurden konkrete Vereinbarungen zwischen dem Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft als wassergesetzlich benanntem Verantwortlichen für den Deichbau und den betroffenen Städten und Gemeinden mit ihren Wasserwehren getroffen.

 

Beispielsweise führt das Ministerium seit Ende 2005 Schulungen zur Aus- und Fortbildung der Mitglieder der Wasserwehren durch. Grundlage hierfür ist unter anderem die durch den Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft erarbeitete Broschüre „Verteidigung von Flussdeichen“.

 

Eine weitere Erkenntnis aus dem Hochwasserereignis 2002 war, dass ein umfassender, vorbeugender Hochwasserschutz über Staats- und Ländergrenzen hinweg innerhalb der Flussgebietseinheiten erfolgen muss. „Hochwasserschutzinteressen an grenzüberschreitenden Gewässern sind somit national und international zu koordinieren und der Hochwasserschutz ist nach einheitlichen Kriterien durchzuführen.“ So haben beispielsweise die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein im Jahr 2008 ein einheitliches Bemessungshochwasser an der Elbe beschlossen, damit die Deichhöhen an den Landesgrenzen übereinstimmen, so Aeikens.

 

Die Hochwasserschutzmaßnahme am Aland ist eine der länderübergreifenden Maßnahmen, die nach dem Hochwasser 2002 in die Wege geleitet wurde. Bei dem Projekt mit Niedersachsen wird bei Klein Wanzer (Landkreis Stendal) ein Überleitungsbauwerk errichtet und das Alandhochwasser in die Seegeniederung übergeleitet. Aeikens: „Mit der Fertigstellung des beantragten Überleitungswehres wird die volle Funktionsfähigkeit der Hochwasserschutzanlagen erreicht, durch welche die Niederungen des Aland, des Schau- und Zehrengrabens und der Seege vor Deichbrüchen und unkontrolliertem Überströmen der Deiche geschützt werden.“ Die Kosten der Maßnahme belaufen sich auf rund 7,4 Millionen Euro. Ab 2017 soll das Wehr überleitungsfähig sein.

 

Zur länderübergreifenden Zusammenarbeit ist auch der Staatsvertrag über die Havelpolder von 2008 zu nennen. Darin verständigten sich Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, ehemalige Überflutungsflächen in der Havelniederung zu nutzen, um den Hochwasserscheitel effektiv zu kappen. „Ziel muss es sein, nicht nur in Siedlungsgebieten so viel Wasser so lange wie möglich in der Fläche zu halten. Auch in der freien Landschaft ist durch eine standortgerechte landwirtschaftliche Flächennutzung und eine naturnahe Waldbewirtschaftung die Speicherkapazität weiter zu optimieren“, betonte Aeikens.

 

Was noch zu tun ist:

 

Trotz der erzielten Erfolge sei in den nächsten Jahren noch viel zu tun, so der Minister. Die Hochwasserschutzkonzeption weise bis 2020 einen finanziellen Bedarf von etwa 677 Millionen Euro aus. Konkret heißt das: Neben der Fortführung der Sanierungsarbeiten an den Deichen sollen unter anderem noch 36 Wehre sollen noch saniert, 14 Siele den neuen Deichhöhen angepasst und 6 Schöpfwerke DIN-tauglich gemacht werden. Allein für den Bau von Deichen, Anlagen und den Gewässerausbau sind etwa 372 Millionen Euro vorgesehen.

 

Zu den Vorhaben zählen unter anderem die Deichsanierungsmaßnahmen Jeßnitz West und Schwarze Elster sowie die Deichrückverlegungsmaßnahmen in Sandau Nord und Süd, Altjeßnitz und Hohenwarte sowie der Bau des Flutungspolders Rösa und der Hochwasserrückhaltebecken im Harz.

 

Aeikens betonte abschließend: „Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass es keinen hundertprozentigen Schutz vor Hochwasserereignissen geben kann. Hochwasser sind Teil des natürlichen Wasserkreislaufs, mit ihnen muss immer gerechnet werden.“