Weihnachtsgeschichten aus Sachsen-Anhalt: Ein Altmärker dichtete „O Tannenbaum“

Gebe es eine Hitliste der beliebtesten Weihnachtslieder, so würde „O Tannenbaum“ ganz weit oben stehen. Die meisten Menschen in Deutschland sind mit diesem Text und der dazugehörigen einfachen Melodie aufgewachsen. Weniger bekannt als dieser Vers ist sein Verfasser. Der stammt aus der Altmark im Norden Sachsen-Anhalts.

Joachim August Christian Zarnack (1777-1827) wuchs in Mehmke auf, studierte nach Abschluss seiner Schulzeit in Halle an der Saale Theologie und arbeitete als Prediger und Lehrer in der preußischen Provinz Brandenburg. Er war ein geistig vielseitiger Mensch betont der hallesche Journalist Ernst Krziwanie in seinem Buch „Advent, Advent“ zu Weihnachtsbräuchen in Sachsen-Anhalt. „Obwohl Zarnack nach seiner Ausbildung eine pädagogische Laufbahn einschlug und erfolgreich als Lehrer arbeitete, haben ihn die Dichtkunst und das Sammeln von Volksliedern sein Leben lang begleitet.“ Als Zarnack um 1820 die Verse vom Tannenbaum schrieb, war er bereits seit einigen Jahren als Erziehungsdirektor des Großen Waisenhauses zu Potsdam und des Mädchenhauses auf Schloss Pretzsch tätig.

 

Wohl auch deshalb dürfte der Pädagoge beim Verseschmieden weniger Weihnachtsstimmung oder Naturpoesie im Sinne gehabt haben, als vielmehr die erzieherische Belehrung der Anstaltsbewohnerinnen. Die immer treuen Blätter des Tannenbaumes dienten ihm dabei als gleichnishaftes Gegenstück zu einem untreuen Mädchen. Deutlicher wird das in der zweiten Strophe, in der Zarnack flatterhaften jungen Frauen die Leviten liest: „O Mägdelein, o Mägdelein, wie falsch ist dein Gemüte ...“

 

Zu einem weihnachtlichen Erfolgsschlager wurde das Lied jedoch erst vier Jahre später, nachdem der Leipziger Pädagoge Ernst Anschütz (1780-1861) Zarnacks erster Strophe zwei weitere hinzugefügt hatte. In ihnen ist nur noch vom Tannenbaum die Rede. Gesungen zu einer einfachen Volksweise aus dem 16. Jahrhundert, kam die Umdichtung zum Weihnachtslied gerade zur rechten Zeit. Inzwischen hatte nämlich der Tannenbaum auch viele bürgerliche Wohnstuben als Weihnachtsbaum erobert.

 

Seither sind fast 200 Jahre vergangen, und der Text unterlag modischen Veränderungen. So wurden im 20. Jahrhundert zwischenzeitlich aus den treuen grüne Blätter. Auch dienten Text und Melodie häufig als Vorlage für Spottlieder auf den Kaiser, auf gesellschaftliche Missstände und andere Themen. Am berühmtesten dürfte eine Schülerumdichtung geworden sein: „O Tannenbaum, o Tannenbaum, der Lehrer hat mich blaugehaun.“

 

 

Text: Manfred Zander im Auftrag der IMG