Gegen Gewalt an Kindern und Jugendlichen

Foto: Techniker Krankenkasse
Foto: Techniker Krankenkasse

Mit dem Titel "Stoppt Gewalt gegen Kinder und Jugendliche" haben die Techniker Krankenkasse und das Ministerium für Arbeit und Soziales am Mittwoch in Magdeburg einen neuen Leitfaden zur Früherkennung von Vernachlässigung und Misshandlung vorgestellt. Die dritte Auflage des erstmals im Jahr 1999 erschienenen und jetzt komplett überarbeiteten Ratgebers wendet sich nicht nur an Ärztinnen und Ärzte, sondern zusätzlich jetzt auch an Zahnärztinnen und Zahnärzte. Der in Zusammenarbeit mit der Allianz für Kinder des Landes Sachsen-Anhalt und mit Unterstützung des Ministeriums für Inneres und Sport, der Ärztekammer, der Kassenzahnärztlichen Vereinigung sowie des Gesundheitsamtes Magdeburg erstellte Leitfaden soll Medizinerinnen und Mediziner dabei unterstützen, Symptome von Gewalt und Vernachlässigung schnell zweifelsfrei zu identifizieren. Zugleich enthält die Broschüre rechtliche Hinweise und Tipps, was und vor allem mit welchen Kooperationspartnern zu tun ist, wenn es einen begründeten Verdacht der Kindesmisshandlung gibt.

Sozialminister Norbert Bischoff dankte der Techniker Krankenkasse für die Kooperation beim Thema Kinderschutz. Zugleich hob er das Landesengagement in diesem Themenfeld hervor. So hat das Land seit 2005 gut 1.500 Kinderschutzfachkräfte qualifiziert, die in den Jugendämtern sowie bei Trägern der Jugendhilfe wie etwa in Kindertagesstätten tätig werden. Zugleich hat das Sozialministerium den Aufbau Lokaler Netzwerke für Kinderschutz forciert und fachlich unterstützt. Bischoff erinnerte zugleich daran, dass Sachsen-Anhalt mit dem Aufbau eines Netzes von Familienhebammen 2006 bundesweit zu den Vorreitern gehört habe. Mit dem Bundeskinderschutzgesetz 2012 war die Steuerung in kommunale Hände zu geben. Aktuell sind 41 Fachkräfte tätig. Bischoff sagte: „Der Staat und die gesamte Gesellschaft - also jeder Bürger und jede Bürgerin von Sachsen-Anhalt  - sind gefordert, Kinder und Jugendliche vor Gewalt, Vernachlässigung und Misshandlung zu schützen. Niemand darf wegsehen oder weghören, wenn Kindern und Jugendlichen Unrecht geschieht.“

 

Wie Jens Hennicke, Leiter der TK-Landesvertretung Sachsen-Anhalt anlässlich der Vorstellung des Leitfadens unterstrich, ist dieser ein wesentlicher Bestandteil des Engagements der Kasse zum Thema Kinder- und Jugendgesundheit in Sachsen-Anhalt. „Rund jeder siebente TK-Versicherte im Bundesland ist noch keine 15 Jahre alt. Daher liegt uns die Gesundheit von Heranwachsenden besonders am Herzen. Aus diesem Grund haben wir beispielsweise in Kooperation mit dem Kultusministerium im Schuljahr 2011/2012 die Initiative 'Mobbingfreie Schule-Gemeinsam Klasse sein!' auf den Weg gebracht und unterstützen bereits seit mehreren Jahren gesundheitsfördernde Projekte an Kindergärten und Schulen. Der jetzt aktualisierte Leitfaden soll dazu beitragen, die auch bei Fachleuten bestehenden Informationsdefizite abzubauen, um dann im Bedarfsfall sachgerecht reagieren zu können", so Hennicke der eine „große Diskrepanz“ zwischen Gesetzeslage, die ein gewaltfreies Aufwachsen von Kindern garantiert, und der Lebenswirklichkeit sieht. Beispiele aus den letzten Tagen und Wochen belegen erneut, dass Ohrfeigen und Schläge nur eine Form der Gewalt sind. Nicht selten müssen Jungen und Mädchen auch seelische Verletzungen in Form von beleidigenden Beschimpfungen, Demütigungen, Missachtung und Vernachlässigung erdulden.

 

Die Polizeiliche Kriminalstatistik des Landes Sachsen-Anhalt weist für das Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg der Fallzahlen bei Misshandlungen sowie dem sexuellen Missbrauch von Kindern und bei der Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht auf. Demnach wurden 533 Fälle von sexuellem Missbrauch sowie 171 Misshandlungsdelikte registriert. Im Jahr 2013 waren es 450 Fälle von sexuellem Missbrauch sowie 155 Fälle von Misshandlung. Die Aufklärungsquote ist in beiden Kriminalitätsbereichen hoch. Sie liegt bei knapp 90 Prozent im Bereich sexueller Missbrauch sowie gut 97 Prozent bei Kindesmisshandlung. Wegen verletzter Fürsorge- und Erziehungspflicht wurde 2014 in 103 Fällen ermittelt, lediglich zwei Vorwürfe konnten letztlich nicht zweifelsfrei aufgeklärt werden.

 

Mit den Folgen von körperlicher und sexueller Misshandlung sowie psychischer Gewalt und Vernachlässigung sieht sich Professor Doktor Rüdiger Lessig, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Halle, in seiner täglichen Arbeit konfrontiert. Der Mediziner, der die Erstellung des Leitfadens fachlich unterstützt hat, verwies darauf, dass rechtsmedizinische Untersuchungen in Fällen von Kindeswohlgefährdung dazu beitragen können, dass erforderliche Dokumentationen für anschließende Strafverfahren zur Verfügung stehen. Lessig: „Dies kann im Einzelfall nicht nur zur Überführung eines Tatverdächtigen, sondern auch zur Entlastung von Beschuldigten beitragen, die diesem Vorwurf ausgesetzt sind. Die Informationen über die zulässigen und notwendigen Abläufe sind für die klinisch tätigen Ärztinnen und Ärzten, aber auch Zahnärztinnen und Zahnärzte, sehr wichtig und hilfreich. Daher begrüße ich die Aktualisierung des Leitfadens ausdrücklich!"

 

Der Leitfaden wird mit einer Startauflage von zunächst 4.500  Exemplaren erscheinen. Zudem steht die Broschüre hier zum Herunterladen zur Verfügung.

 

Leitfaden: Stoppt Gewalt gegen Kinder und Jugendliche (PDF, 2,5 MB)