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Die Amerikaner stehen vor Bernburg, die Stadt wird zur Lazarettstadt erklärt

In der Stadt Bernburg, die vor dem Kriege rund 45.000 Einwohner zählte, waren im Laufe des Krieges rund 40.000 Evakuierte, hauptsächlich Frauen und Kinder, untergebracht und über 20 Lazarette mit 4.000 verwundeten Soldaten angefüllt worden.


In der Stadt Bernburg, die vor dem Kriege rund 45.000 Einwohner zählte, waren im Laufe des Krieges rund 40.000 Evakuierte, hauptsächlich Frauen und Kinder, untergebracht und über 20 Lazarette mit 4.000 verwundeten Soldaten angefüllt worden. Eine andersweite Unterbringung der Evakuierten und Verwundeten war bisher unmöglich und ist heute völlig ausgeschlossen. Die große Zahl der verwundeten Soldaten in Bernburg dürfte es im übrigen wohl rechtfertigen, das Bernburg ähnlich wie andere Städte zur Lazarettstadt erklärt wurde.

 

Von vorstehendem Schreiben wurden sofort zwei Reinschriften abgangsfertig gemacht und dem mit einem Motorrad ausgerüsteten Polizeimeister Sandmann zur Beförderung an das Oberkommando der Wehrmacht übergeben. Einen der Briefe verbarg er im Stiefel und fuhr von Bernburg 9.30 Uhr ab. Er erschien für diesen Botendienst besonders geeignet, da er sich vor kurzem aus dem Westen mit einem Pferdefuhrwerk durch die amerikanischen Truppen unbehelligt durchgeschlagen und sich auf solche Art nach seiner Meinung „an die Amerikaner gewöhnt“ hatte. Seiner Anregung entsprechend wurde er in eine Festuniform gesteckt, zu deren Darleihung sich ein aus Frankfurt a/O. evakuierter Postbeamter Hermann Brandt endgegenkommend bereit erklärt hatte. Polizeimeister Sandmann wollte angeblich seine erkrankte Mutter in Wiesenburg besuchen und erhielt entsprechende Ausweispapiere.

Für seine Fahrt war ihm nach den von Oberst Hollunder gemachten Angaben der folgende Weg vorgezeichnet: Bernburg – Latdorf – Zuchau – Diebzig – Kühren – Aken – Elbefähre – Brambach – Rosslau. Von hier aus sollte er bei dem Stabe des dortigen Armee-Oberkommandos dem Sitz des Oberkommandos der Wehrmacht ermitteln, der wahrscheinlich Jüterbog sei. – Der Bote kam ungestört bis Aken, fand Aken noch von deutschen Truppen besetzt, auch die Fähre noch unbeschädigt in deutscher Hand, konnte sie aber nicht mehr benutzen, weil sie unmittelbar vor der Sprengung stand. Er musste kehrt machen und langte abends 19 Uhr wieder in Bernburg an.

 

Inzwischen war der für Bernburg entscheidende Tag der Inbesitznahme durch die Amerikaner, man darf wohl sagen: gnädig abgelaufen.

 

Doch man meine nun nicht, das deshalb Antragstellung und Botenstellung unnütz und wertlos gewesen sei. Beides hat den zunächst Beteiligten und Verantwortlichen, dem Kampfkommandanten und dem Oberbürgermeister die Handlungsfreiheit gegenüber jenem in seiner Allgemeinheit unheilvollen Städteverteidigungsbefehl gegeben, Durch den auf den Weg gebrachten Antrag waren beide von dem durch einen Befehl auferlegten Kadavergehorsam Unverantwortlicher befreit und brauchten sich ihr gesundes Bewusstsein echter Verantwortlichkeit nicht durch Gedanken an Selbstmord und Zerstörung der Stadt verwirren zu lassen. 


Der Weg dazu war ihnen durch den Befehl selbst zugelassenen Antrag auf Ausnahmebewilligung frei gemacht. Was der Kreisleiter, der bei dem ganzen Vorgang ausgeschaltet war, darüber dachte, wissen wir nicht. Jeder, der diese Zeilen liest, mag aus seiner Handlungsweise am Abend des 16., auf die wir noch zu sprechen kommen seine Schlüsse ziehen.

 

Wir beschäftigen uns hier vorerst mit den Ereignissen am Morgen, Vor- und Nachmittag des 16. April, und zwar zunächst mit dem, was in der Bergstadt auf dem rechten Saaleufer geschah, wo die Hauptentscheidung fiel. Den Geschehnissen in der Talstadt, die sich zu Anfang völlig selbstständig entwickelten und sich erst zum Schluss in die bereits in der Bergstadt gefallenen Hauptentscheidung einordneten, werden wir nach der Schilderung der Inbesitznahme der Bergstadt unsere Aufmerksamkeit zuwenden.

 

Kampfhandlungen in der Bergstadt

 

Der Kampfkommandant hatte noch am Abend des 15. April, als nach eingegangenen Meldungen die amerikanischen Panzerspitzen auf der Chaussee Halle-Bernburg bis nach dem Dorfe Peissen, 7 Km südlich von Bernburg, vorgedrungen waren, etwa 300 m vor dem Stadtrand Bernburgs eine Verteidigungslinie aufgebaut, die, mit den Fabriken Sommer & Söhne und Weigel an der Halleschen Chaussee in der Mitte, sich nach rechts bis zur Kustrenaer Chaussee, nach links bis zum Zepziger Weg hinzog. Die Stellung wurde am frühen Morgen des 16. von einigen schwachen Infantrietrupps, die mit Gewehren, Maschinengewehren und Panzerfäusten ausgerüstet waren, in der Hauptsache aber von Volkssturmmännern, die nur einige Panzerfäuste besaßen, weitläufig besetzt.

 

Kurz nach 08:20 Uhr rückten, wie von Rathausturm bei guter Sicht festgestellt wurde, die gegnerischen Panzer aus Peissen heran.

 

Quelle: Dr. jur. Ernst Eilsberger

Das daraufhin in Bernburg gegebene Signal “Feindalarm“ war das letzte Alarmsignal, das die Bernburger Sirenenanlage überhaupt gegeben hat, nachdem sie in den letzten Wochen und Monaten zu jeder Tages- und Nachtzeit mit ihren Alarmsignalen die Bernburger Bevölkerung in die Luftschutzräume gescheucht hat. Die feindlichen Panzer rückten vorsichtig vorwärts, zweigten auch kleinere Verbände nach der Kustrenaer Chaussee und den Zepziger Weg ab.

 

Die Abgesessenen Panzersoldaten gingen in Aufgelösten Schützenlinien gegen die deutsche Verteidigungsstellung vor. Ein schwaches Infanteriefeuer von beiden Seiten setzte ein, und hielt wohl eine Stunde lang an. Auch einzelne Einschläge von leichter und mittlerer Artillerie der Amerikaner erfolgen. Ein Vorratsgebäude der Fabrik Sommer & Söhne wurde in Brand geschossen. Gegen Mittag verlagerte die Kampftätigkeit mehr und mehr an den bebauten Teil des Stadtrandes heran. Am lebhaftesten ging es am Ausgang der Halleschen Strasse zu. Von hieraus richteten amerikanische Geschütze mehrere Geschosse leichten Kalibers gegen die Panzersperre an der Wolfgangstrasse, ohne ihr indes etwas antun zu können. Die Amerikaner stellten auch bald wieder das Feuer ein und beschränkten sich im wesentlichen darauf, in den am Stadtrand gelegenen Strassen eine Durchsuchung der Wohnungen nach deutschen Soldaten nach Waffen und Fotoapparaten vorzunehmen.

 

Die wenigen Todesfälle und Verletzungen die bei den Kämpfen am Stadtrand auf deutscher Seite vorgekommen sind, dürften auf Zufall oder Irrtum, nicht auf Absicht zurückzuführen sein. Überhaupt glaubte man bemerken zu können, das die Amerikaner – selbstverständlich auch im Interesse ihrer eigenen Sicherheit – nur langsam und vorsichtig vorgingen, dabei aber ungeachtet ihrer offenbaren Überlegenheit an Truppen und Waffen alles vermieden, was die Unseren zu heftigerem –Widerstand zwischen oder gar was zu Blutvergießen führen konnte.

 

Lesen Sie morgen: Die Übergabeverhandlungen vom 16. April mit den Amerikanern


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