· 

Öffnung des Pretziener Wehr's

150 Jahre ist das Pretziener Wehr alt und funktioniert heute wie damals perfekt, es schützt uns zuverlässig vor Hochwassern der Elbe

Gestern wurde das Pretziener Wehr in Folge des aktuellen Hochwassers der Elbe geöffnet. Seit 1875 schützt das Pretziener Wehr die Region Magdeburg vor dem Hochwasser der Elbe. Insgesamt 64-mal wurde es seitdem eingesetzt. Ab heute kommt es erstmals seit zehn Jahren wieder zum Einsatz: 324 schwere Schützentafeln werden hochgezogen, damit die Wassermassen abfließen können, um Magdeburg und umliegende Gemeinden vor Überflutungen der Elbe zu schützen, teilt der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft in Magdeburg mit. Dies sorgt dafür, dass etwa ein Drittel des Elbwassers in einen 21 Kilometer langen Kanal um Magdeburg und Schönebeck herumgeleitet wird, ehe es wieder in den Fluss fließt.

 

„150 Jahre ist das Pretziener Wehr alt und funktioniert heute wie damals perfekt, es schützt uns zuverlässig vor Hochwassern der Elbe. Seit einem Vierteljahrhundert begleite ich mit Stolz die Erhaltung des Pretziener Wehrs als einem der bedeutendsten technischen Denkmale unseres Landes. Die Ingenieure, das Handwerk, die Erfindungskraft und das technische Wissen unserer Bürgerinnen und Bürger sind unsere größte Ressource, im 19. Jahrhundert ebenso wie im 21. Jahrhundert, in dem wir diese Erfolgsgeschichte weiterschreiben. Der UNESCO-Kandidat Pretziener Wehr steht stellvertretend für diese große Ideengeschichte aus Sachsen-Anhalt“, erklärt dazu Dr. Gunnar Schellenberger, MdL und Präsident des Landtages Sachsen-Anhalt.

 

Das Bauwerk ist, laut Auszug aus dem Denkmalregister, eine in Europa einzigartige Wehranlage, die Magdeburg und das Umland bereits häufig gerettet hat, unter anderem bei den kritischen Hochwasserlagen in den Jahren 2002 und 2013.

 

Das Pretziener Wehr wird als eines von sieben neuen Kulturerbestätten in die „Liste der Kultur- und Naturgüter, die von der Bundesrepublik Deutschland zur Aufnahme in die UNESCO-Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt angemeldet werden sollen“ aufgenommen. Darauf einigte sich die Kulturministerkonferenz (KMK) erst Anfang Dezember 2023. Der Beschluss zur Aufnahme auf die sogenannte Tentativliste gilt als wichtiger Schritt auf dem Weg zum Status UNESCO-Welterbe. Das Pretziener Wehr hatte das Land im Jahr 2021 als Kandidat für die engere Wahl potenzieller Weltkulturerbestätten ins Spiel gebracht. In keinem anderen Bundesland gibt es eine vergleichbare Dichte an UNESCO-Welterbestätten wie in Sachsen-Anhalt: fünf Kulturstätten, zwei Biosphärenreservate und wertvolle Dokumente zeichnete die UNESCO hier bislang als Welterbe der Menschheit aus.

 

Hintergrund zum Pretziener Wehr: Ein herausragendes und für den Hochwasserschutz der Region Magdeburg bis in die Gegenwart wichtiges Bauwerk ist das ab 1871 errichtete Pretziener Wehr, das gemeinsam mit dem dazugehörigen Umflutkanal die Regulierung des Wasserstandes der Elbe zum Ziel hat. Denn der in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder mäandernde Elbstrom, dessen Lage sich häufig änderte, hinterließ eine flache von Altarmen, Teichen und Seen geprägte Landschaft. Im Verlauf ihrer Geschichte wurde die Stadt Magdeburg und das südlich davon gelegene Schönebeck immer wieder von Hochwasserereignissen heimgesucht. Etwa 1845, 1862 und 1865, als ein Großteil der Deiche in der Niederung bei Magdeburg und südlich davon zerstört wurde. Neben den Fluten waren die saisonalen Niedrigwasser der Elbe ein Problem. Sie behinderten den Warenverkehr auf dem viertgrößten Strom Mitteleuropas regelmäßig.1865 stellte der Regierungs- und Baurat Hermann Wurffbain eine Lösung für dieses Problem vor: einen Umflutkanal der die gefährdeten Städte Schönebeck und Magdeburg im Hochwasserfall durch das Umleiten erheblicher Wassermassen schützen sollte und gleichzeitig im Normalfall das Wasser aufstaute, um den Wasserstand der Elbe konstant zu halten. Das zugehörige Wehr südöstlich von Schöneck wurde mit den technischen Möglichkeiten seiner Zeit äußerst ehrgeizig und innovativ realisiert. Die Baumasse, mit der das Wasser auf einer Länge von 163 Metern aufgestaut wird, besteht aus zwei Widerlagern, acht Brückenpfeilern und – dies ist die technische Raffinesse – 324 kleinen Tafeln, die mithilfe von sogenannten Losständern zwischen den Brückenpfeilern und Widerlagern das Wasser aufstauen und einzeln entfernt werden können. 2010 wurde das Wehr unter enger Begleitung der Denkmalpflege grundlegend saniert und bietet so dem Großraum Magdeburg auch in den kommenden Jahrzehnten zuverlässig Schutz bei Hochwasserlagen.

 

Die Einwohner der Region sehen in dem Pretziener Wehr nicht nur eine verlässliche wasserbauliche Anlage, sondern identifizieren sich mit diesem für die Region so wichtigen Bauwerk. Im Jahr 2015 zeichnete die Bundesingenieurkammer das Bauwerk als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ aus. Das Land Sachsen-Anhalt hatte das Pretziener Wehr im Jahr 2021 als Kandidat für die engere Wahl potentieller Weltkulturerbestätten ins Spiel gebracht. Als eines der vielen Denkmale in Deutschland, die immer noch in ihrer ursprünglichen Funktion in Betrieb sind, zeigt das Bauwerk zweierlei: Erstens sind Funktionalität, Kulturerbe und Denkmalschutz keine sich ausschließenden Kategorien. Zweitens erinnern uns ingenieurstechnische Meisterleistungen wie das Pretziener Wehr daran, wie weitsichtig und nachhaltig bereits Generationen vor uns dachten. Der Erhalt von Denkmalen ist kein Selbstzweck, er stiftet Identität, vermittelt historischen Innovationsgeist und schützt die Bevölkerung zuverlässig in Krisenlagen.